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Carin Schomann, freie Journalistin
Bundeskabinett beschließt pro-Fracking-Gesetzpaket, missachtet Vorsorgeprinzip und breite Ablehnung
Das Bundeskabinett hat heute das von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks und Bundeswirtschaftsminister Gabriel vorgelegte Rechtsänderungspaket zum Fracking beschlossen. Damit wird das jahrelange Ringen um das vom ganz überwiegenden Teil der Bevölkerung abgelehnten Fracking aber nicht beendet sein. Die Kritik und den Widerstand in der Gesellschaft, aber auch innerhalb der Koalitionsfraktionen im Vorfeld dieser entscheidenden Kabinettssitzung hat auch der letzte Feinschliff am Gesetzespaket nicht abstellen können.
Auch wenn die Ministerin, die im Anschluss an die Kabinettssitzung vor die Presse trat, die Regulierungen als »strengste Regeln« verkaufen wollte, die dem Schutz des Wassers, der Umwelt und der Gesundheit weitestgehend Rechnung tragen, so kommt das Gesetzpaket in erster Linie der Öl- und Gasindustrie entgegen. Gernot Kalkoffen, Vorstandsvorsitzender des WEG und der ExxonMobil Central Europe Holding GmbH, begrüßte den Kabinettsbeschluss denn auch umgehend. Dagegen stößt das »Fracking-Gesetz« bei mindestens 100 Bundestagsabgeordnete der CDU/CSU-Fraktion und mindestens 50 SPD-Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen auf Ablehnung, weil es dem gebotenen Schutz des Grundwassers nicht ausreichend Rechnung trägt und weil sie Aufruhr in ihren Wahlkreisen fürchten. Die Oppositionsfraktionen laufen ohnehin schon lange Sturm gegen Fracking, so wie auch der außerparlamentarische Widerstand von anti-Fracking-Initiativen und Umweltverbänden, die sich immer zahlreicher zu Wort melden.
So bezeichnet es Oliver Kalusch vom BBU als schlechten April-Scherz, als Wortbruch, wenn Hendricks von einem Fracking-Verbot spricht. »Frau Hendricks hat schriftlich versprochen, dass es kommerzielles Fracking in Schiefergestein und Kohleflözen auf absehbare Zeit nicht geben werde. Doch genau dieses Fracking macht der Entwurf zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes möglich.«
Hubertus Zdebel, Obmann im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit in der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, sieht im Gesetzentwurf ein »reines Fracking-Ermöglichungsgesetz« und führt aus: »Das Fracking-Gesetz ist eine Bedrohung für Mensch und Umwelt. Zwar soll Fracking in Schiefer- und Kohleflözgestein oberhalb von 3.000 Metern Tiefe vorläufig untersagt werden. Doch kann die zuständige Landesbehörde Fracking auch oberhalb von 3000 Metern Tiefe zulassen, wenn eine Expertenkommission, die weder demokratisch legitimiert noch unabhängig ist, dies als unbedenklich einstuft. Hinzu kommt, dass entgegen Hendricks’ Behauptungen heute, auch im Unterkarbon unterhalb von 3000 Metern große Schiefergaspotenziale befinden, nämlich mehr als 6 Billionen Kubikmeter.«
Konstantin von Notz aus dem Lauenburgischen, der für Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag sitzt, bezeichnet den Kabinettsbeschluss als klares Zeichen pro Industrie: »Mit der Vorlage dieses Kabinettsbeschlusses ist endgültig klar: Die Bundesregierung stellt ein Freifahrtsschein für ein flächendeckendes Fracking aus. Ihr Gesetz ist ein Fracking-Erlaubnisgesetz. Umweltministerin Hendricks ist vor ihrem Ministerkollegen Gabriel und dem Lobbydruck weniger großer Konzerne eingeknickt. Die Bundesregierung hofiert Unternehmen, die auf schnellen Profit ohne Rücksicht auf die betroffenen Regionen und kommenden Generationen setzen. Das Gesetzespaket wurde peu a peu aufgeweicht: Selbst in EU-Natura 2000 Gebieten soll nach dem Willen der Bundesregierung zukünftig gefrackt werden. Die geplanten Regeln für wassergefährdende Stoffe, die Rückfluss-Verpressung und Tiefenbegrenzung sind wachsweich und wirklichkeitsfremd. Der Versuch der Bundesregierung, die politische Verantwortung bei einer Expertenkommission abzuladen, ist von vornherein gescheitert: Wer ein solches Gesetz vorlegt, macht damit deutlich, wie wenig er bereit ist, angemessen auf bestehende Risiken einzugehen. Kein Wunder, dass der einhellige Widerstand von Umweltverbänden, Brunnenbetreibern und Kommunen selbst bis in die Reihen der Groko-Abgeordneten reicht.«
Harsche Kritik äußert auch Patrick Breyer, Fraktionsvorsitzender der Piratenpartei im Kieler Landtag: »Der heute beschlossene Gesetzentwurf würde Fracking in weiten Teilen Schleswig-Holsteins und Deutschlands ermöglichen. Auch die von der CDU geforderten 13 Nachbesserungen würden nichts daran ändern, dass unserem Wasser, unserem Boden, unserer Land- und Getränkewirtschaft sowie unserem Grundeigentum unüberschaubare Risiken drohen. Unterscheidungen nach ‘konventionell’ oder ‘unkonventionell’, ‘toxisch’ oder ‘nicht toxisch’, ‘Schutzgebiet’ oder ‘nicht Schutzgebiet’ sind allesamt Augenwischerei und dienen der Irreführung der Öffentlichkeit. Auch in Anbetracht der Erderwärmung müssen wir uns von fossilen Brennstoffen unabhängig machen, statt die Abhängigkeit von billigem Öl und Gas weiter zu befeuern.«
Bereits am Montag, dem 23. März 2015, hatte ein breites gesellschaftliches Bündnis – Allianz der öffentlichen Wasserwirtschaft e. V., arbeitsgemeinschaft der umweltbeauftragten der evangelischen kirche in deutschland, BUND Friends of the Earth Germany, Deutscher Naturschutzring, anti-Fracking-Initiativen, NABU, PowerShift, Umweltinstitut München e. V. und Gewerkschaft Nahrungs- und Genussmittel – eine ganze Palette von Gründen genannt, die einem wie auch immer gearteten Nichtverbot von Fracking entgegenstehen. Ein nicht ausnahmsloses Verbot von Fracking widerspreche den Zielen der Bundesregierung, den Schutz des Grundwassers und der Gesundheit als oberste Priorität zu verfolgen. Die fehlende Beherrschbarkeit und die schlechte Klimabilanz der Technik, die nicht auszuschließende Bedrohung der guten Wasserqualität und damit auch die unmittelbare Bedrohung von über 300.000 Arbeitsplätzen in der Nahrungs- und Genussmittelindustrie und die beschlossene Wende zu den Erneuerbaren Energien waren nur einige der schwerwiegenden Argumente, die genannt wurden.
In Umfragen und Petitionen zeigt sich seit mehreren Jahren eine stetig zunehmende Ablehnung der gefährlichen Fracking-Technik. Die – wenn auch nicht wissenschaftlich robuste – kleine online-Umfrage der Telekom heute im Nachgang zum Kabinettsbeschluss zeigt: Etwa neun von zehn Teilnehmern lehnen Fracking ab. Wäre über Fracking in einem Volksentscheid zu befinden, es hätte wohl keine Chance. Als demokratisch legitimiert ist die Entscheidung der Bundesregierung jedenfalls nicht zu bezeichnen; vielmehr sind Zweifel angebracht am rechten Gebrauch des Mandats, das die 16 Kabinettsmitglieder innehaben.
Eine Ministerin macht nur ihren Job?
Obwohl sie nach eigener Aussage nichts vom Fracking hält, verrichtet Barbara Hendrick ihre von Sigmar Gabriel und der Industrielobby aufgetragene Aufgabe wunschgemäß und tritt als Nummern-Girl mit einem Murks-Gesetz vor die Öffentlichkeit, mit irreführenden Angaben und Beschwichtigungen.
Es werde »nichts erlaubt, was heute schon verboten ist« und es werde »vieles verboten, was heute ungeregelt ist«, führte Hendricks nach dem Kabinettsbeschluss aus und meinte damit unter anderem Klarstellungen beim Gewässerschutz und den Pflichten der Wasserbehörden.
Die umstrittene Verklappung von flüssigen Abfällen der Öl- und Gasförderung im Untergrund solle »höchsten Anforderungen« genügen, allerdings sei die unterirdische Entsorgung auch heute Stand der Technik, mithin alternativlos. Dass bis heute niemand die Langzeitfolgen von Millionen Hektolitern verpresster Giftbrühe benennen kann und sie als erdbebenauslösend und »tickende Zeitbomben« bezeichnet werden, erwähnte die Ministerin lieber nicht.
Die Installation einer sog. Expertenkommission sei ein Zugeständnis an die Kollegen von der CDU, sagte Hendricks; die Kommissionsempfehlungen hätten allerdings »eigentlich« keine Rechtskraft und bergrechtliche Verfahren zur Zulassung von Fracking-Maßnahmen seien nach wie vor erforderlich.
Auf die Nachfrage, warum die risikoreiche und zudem keinen nennenswerten Beitrag zur Energieversorgung in Deutschland liefernde Bergbautechnik nicht kurzerhand verboten würde – so wie in Frankreich – antwortete die Ministerin sinngemäß: »Ich persönlich denke, wir brauchen Fracking nicht. Aber aus verfassungsrechtlichen Gründen können wir es nicht verbieten. Das Grundgesetz normiert die Forschungsfreiheit und die Gewerbefreiheit, da können wir als verantwortlicher Gesetzgeber nicht hingehen und sagen, wir lassen es darauf ankommen, was Gerichte dazu entscheiden.«
Forschungs- und Gewerbefreiheit vs. Vorsorgeprinzip?
Die Begründung für die behauptete Verfassungswidrigkeit eines Fracking-Verbots ist allerdings schwach. Hubertus Zdebel stellvertretend für viele kritische Stimmen:
Entgegen den Behauptungen der Umweltministerin ist ein gesetzliches Fracking-Verbot sehr wohl möglich. Aus einer Ausarbeitung zur Förderung von unkonventionellem Erdgas des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages aus dem Jahr 2011 (WD 3 – 3000 – 372/11) geht hervor, dass nicht nur bei Fracking eingesetzte Chemikalien verboten werden können: ‘Ein Verbotsgesetz (.) könnte aber auch gerechtfertigt sein, wenn der Gesetzgeber zur Eindämmung aus seiner Sicht bestehender Risiken des Fracking ein Verbot zum Schutz von Mensch und Umwelt für erforderlich hielte’.
Untermauert wird die von Zdebel erwähnte Ausarbeitung des WiDi durch die Ausführungen des Sachverständigenrates für Umweltfragen zwei Jahre später in seiner Stellungnahme Fracking zur Schiefergasgewinnung. Ein Beitrag zur energie- und umweltpolitischen Bewertung. (S. 38/39):
Die Europäische Kommission und der Europäische Gerichtshof (EuGH) betrachten das in Artikel 191 Absatz 2 Satz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) verankerte Vorsorgeprinzip über das europäische Umweltrecht hinaus sogar als allgemeines Rechtsprinzip des gesamten Unionsrechts (Europäische Kommission 2000, S. 12; ARNDT 2009, S. 80 ff.). Aus den genannten Normen folgt ein – auch vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anerkanntes – „Untermaßverbot“, dem durch die gesetzgeberische Entwicklung eines effektiven Schutzkonzepts Rechnung zu tragen ist. In der Folge ist das Vorsorgeprinzip auch in vielen Umweltgesetzen explizit verankert (CALLIESS 2001).
Die Mindestgrundsätze, die die EU-Kommission Anfang 2014 für Fracking in Form von Empfehlungen ausgegeben hatte, mögen für die Unionsländer keine Rechtsverbindlichkeit besitzen. Das EU-rechtlich vorgeschriebene Vorsorgeprinzip ist allerdings bindend, genauso bindend wie das im deutschen Grundgesetz, Artikel 2 Absatz 2, festgeschriebene Recht auf Leben und körperliche Unversehrheit. Ein Gesetz, das Fracking und damit eine unmittelbare Gefährdung der Lebensgrundlage Wasser ermöglicht, passt in keiner Weise zu diesen hochstehenden Schutzrechten. Einer Ministerin, deren ureigenstes Aufgabengebiet der Schutz der Umwelt und der natürlichen Grundlagen des Dasein umfasst, hätte es gut angestanden, in allererster Linie die ihr anvertrauten Belange zu verteidigen, bevor sie vor den Interessen von Wirtschaftsunternehmen und deren zuständigen Minister auf die Knie geht.
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